Landwirte, Förster und Jäger – fremd im eigenen Revier?

Was wissen wir noch über die uns unmittelbar umgebende Land- und Forstwirtschaft? Arbeiten wir mit Bauern und Förstern (noch) zusammen oder entfremden wir uns immer mehr? Autor Peter Burkhardt befürchtet zunehmend größere Gräben zwischen den Akteuren und hofft auf mehr Dialoge und gegenseitiges Verständnis. 


Gregor war außer sich vor Wut. Zwei Wiesen in seinem Revier sind gestern gemäht worden, keiner hat sich vorher gemeldet, zwei tote Kitze hat er heute ebenso entdecken können/müssen, wie vier tote Junghasen und ein zerstörtes Rebhuhngelege. Ausgerechnet Rebhühner hat es also auch getroffen, dabei hat er sich in den letzten Jahren intensiv um diese Feldhühner gekümmert. Wie konnte eine derartige Misere zukünftig verhindert werden?

Umgehend rief er beim entsprechenden Landwirt an und vernahm erstaunliches: „Ja, die Wiesen sollten gemäht werden, allerdings erst kommende Woche.“ Und nein, der Agronom mäht nicht mehr selber, sondern hat diese Arbeit an ein Lohnunternehmen abgegeben. Die sind dann wohl deutlich früher auf die Flächen gekommen als geplant. Beide vereinbarten für den Nachmittag ein Treffen. Bis dahin hatte Gregor das nunmehr zuständige Lohnunternehmen ermittelt und traf, immer noch angesäuert, bei dem Landwirt ein. Dort wurde ihm erklärt, welche Verschiebungen hinsichtlich der Feldarbeit es – nicht nur auf diesem Hof – in der letzten Zeit gegeben hatte. Immer mehr Tätigkeiten würden ausgelagert, zu unrentabel sei das Vorhalten großer Maschinen für oft zu kleine Höfe. Zu geringe Auslastung, zu hohe Betriebskosten, die Liste ließe sich verlängern. 

Was beide schnell im Zuge ihre Gespräches feststellen mussten, war vor allen Dingen eines: Man wusste viel zu wenig voneinander, gleichwohl Gregor schon länger Pächter des Feldreviers war. 

Und so staunte mal der eine Gesprächspartner, mal sein Gegenüber. Was wusste der Jagdpächter konkret über die aktuelle wirtschaftliche Situation der verschiedenen Höfe in seinem Jagdbezirk? Was kann der Jäger – nehmen wir das konkrete Beispiel – über den Sprung vom 1- vielleicht 2-Balken-Mäher des Gesprächspartner zum fünf Mähwerke bewegenden Großtraktor des Lohnunternehmers sagen? Was weiß der Landwirt konkret darüber, was allein diese technische Veränderung (O-Ton Gregor) / technische Verbesserung (O-Ton Landwirt) für das Niederwild bedeutet? 

Was wissen wir voneinander?

Das zunächst auch für mich, der ich im Nachgang die Unterredung geschildert bekam, als auch möglicherweise für Sie, verehrte Leserinnen und Leser, Überraschende war, dass bei Gesprächspartner sich über Jahre kannten. Trotzdem blieben voreinander selbst einfache Zusammenhänge verborgen, waren so nie geäußert worden. Positives Fazit: Der Lerneffekt war immens!

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf habe ich mich selber überprüft – und mein Umfeld gleich mit dazu. Viel zu wenige Landwirte sind heuer noch Jäger, viel zu viele Jäger wissen zu wenig über die Landwirtschaft. Mein Ziel für die Zukunft: Zu jeder Jagdversammlung, sei es auf Hegering- oder Hochwildring-Ebene, ergehen Einladungen an unsere Agronomen und auch an die jeweiligen Verbandsvertreter. Umgekehrt steht es uns gut an, wenn das Landvolk tagt, auch deren Versammlungen zu besuchen, genau hinzuhören und ggf. neue Eindrücke umzusetzen.

Hatte ich nicht schon öfter erfahren müssen, dass wenn z. B. eine Ernte in den USA misslingt oder in China der Markt nach Produkt x oder Produkt Y schreit, selbst in unserem kleinen Landhandel im Nachbardorf die Preise rasant stiegen? „Tja“, sagte der rührige Verkäufer dann gern, „selbst wir hier in tiefsten Hinterland sind eben mit den Weltmärkten untrennbar verbunden.“ Inzwischen, insbesondere nach Gregors Schilderung des schließlich vierstündigen Gesprächs mit dem Landwirt, realisiere ich, dass es (sicherlich vielerorts) immer noch am gegenseitigen Verständnis hapert. 


Im Dialog bleiben

Was im Feldrevier noch nicht so gut gelingt, funktioniert bei uns im Waldrevier bedeutend besser. Woran liegt's? Mein Schwiegervater, mein Sohn und meine Schwiegertochter waren beziehungsweise sind Förster. Was wurde schon an unseren Tischen über Wald, Wild und Jagd debattiert? Stunden haben wir so zugebracht. Durch den Beruf der drei habe ich unendlich viel über die Forstpartie gelernt. Tausche ich mich aber auch nur über kleine Teile waldbaulicher Belange mit meinen Jagdnachbarn aus, wissen diese teilweise nichts darüber! Wie kann das sein? 

Da jagt jemand in der fünften Pachtperiode im Wald und hat bis heute kein Verständnis für Forstgatter, hält Holzernte-Maschinen immer noch für den Ausbund des Teufels und steht mit mir in seinem jagdlichen Beritt, ohne zu erkennen, dass beispielsweise seine jungen Douglasien in der Mehrzahl verfegt, geschält oder verbissen sind.

Nicht-Wissen und fehlender Austausch lässt sich aber auch andernorts dokumentieren: Diskutiert man bei Versammlungen von Forstbetriebsgemeinschaften und/oder Jagdgenossenschaftsversammlungen mit den Anwesenden, stelle ich immer wieder fest, dass kaum ein Waldbesitzer/Jagdgenosse gemeinsam (!) mit dem zuständigen Förster wenigsten ein-/zweimal pro Jahr im Wald ist. Auch hier werden m. E. Chancen vergeben.

Bei mir sind regelmäßige Begehungen oder der fortwährende Austausch Jagd-Forst mit „meinem“ Förster Gang und Gäbe. Die Folge: Ich melde durch Sturm kaputte Gatter, äußere den Verdacht, ein Fichtenhorst mit Verdacht auf Käferbefall entdeckt zu haben oder bringe auch mal einen Brennholz-Werber in die Abteilung, wo er wirken kann. Umgekehrt sind die Pflanz-Kolonnen im März und April bei mir und nicht im Mai. Gemeinsam mit dem Förster wurden zwei Stellen ausgespäht, wo wir kleine neue Tümpel anlegen können. Durchforstungsmaßnahmen werden telefonisch früh angekündigt und mir so die Chance gegeben, ein dann ursprünglich terminiertes Jagdwochenende mit Freunden noch vorzuverlegen. 


Entfremdung einerseits ...

Wäre es nicht eine überlegenswerte Idee, bereits frühzeitig und in der Fläche, d.h. im Rahmen der Jungjäger-Ausbildung, die Themen Land- und Forstwirtschaft intensiver zu behandeln? Müssten wir nicht in der Jagdausbildung viel mehr Verständnis/Kenntnisse für/über beispielsweise Feldfrüchte, Dünger oder Beregnung – um nur drei Stichworte zu nennen – wecken? 

Nicht nur, dass viele „Stadtmenschen“ inzwischen keinen Bezug mehr zur Land- und Forstwirtschaft (zur Jagd auch!) haben: Selbst in (Jung-)Jägerkreisen ist zu beobachten, dass ein immer größer werdender Graben zwischen Jägerinnen und Jägern einerseits und praktizierenden Landwirten andererseits klafft. Die Folge: Mancher Nimrod stimmt unreflektiert in das gerade so beliebte „Agronomenbashing“ mit ein, obwohl gerade wir es sind, die eigentlich eng verzahnt mit den Bauern/Jagdgenossen kooperieren müssten. 

Kitzrettung ist da immerhin ein erster kleine Schritt in die richtige Richtung, wenngleich längst nicht genug.


… fehlende Ausbildung andererseits 


Gelöst ist damit aber nicht das Verständnis für „das große Ganze“, womit sich wieder der Bogen zurück zur Jungjägerausbildung oder Seminar-Angeboten schlagen ließe. Gerade im ersten Fall scheitert der fromme Wunsch aber zumeist an Zeitnot durch enge Lehrpläne. Warum „enge Lehrpläne?

In meinem Umfeld wurde gerade der Jungjägerkurs einer Jägerschaft abgesagt! Ursächlich dafür waren nur 3 (in Worten drei) Anmeldungen. Ob wir es nun gutheißen oder nicht: Ein über Monate andauernder Ausbildungszyklus wird immer weniger goutiert, stattdessen boomen Jagdschulen. Wer jetzt meint, da sei ja ohnehin alles schlechter irrt: Stundenanzahl und Inhalte gleichen einander, es scheint aber so, dass die „Kurzform“ Jagdschule dem längeren Lernansatz den Rang längst abgelaufen hat. 

Das kann man nun bedauern, ist aber Fakt. Die Crux liegt längst nicht mehr in der Verkürzung Jägerschaft versus Jagdschule, sondern in den immer noch z.T. komplett veralteten Lerninhalten! Statt über das künftige jagdliche Umfeld zu informieren (Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Klimawandel, Jagdgegner, …) erlebe ich immer noch, wie der „Gebrauchshirschfänger nach Frevert“ abgefragt wird oder sich in Zahnformeln ergangen wird. Doch die Inhalte von Jungjägerausbildung und das Selbstverständnis mancher Prüfungskommission noch zu beleuchten, sprengt hier den Rahmen und wäre einen eigenen Artikel wert. 


Seminare, Hoffeste und Stammtische


Was bleibt ist meine Hoffnung auf weiterführende Seminare. Nicht nur „Wildschadensschätzung“, sondern gerne weiter gefächerte Inhalte. Interessant wäre zu beobachten, wie viele Jägerinnen und Jäger dann tatsächlich daran teilnehmen würden. Daher hänge ich den Wunsch mal tiefer: Auch der Besuch bei einem „Tag des offenen Hofes“ oder ein Hoffest ermöglicht bereits Dialoge und Erkentnisgewinne! 

Oder in meinen Fall hilft ganz konkret der Blick auf den einmal im Monat stattfindenden Stammtisch: Beim letzten Mal habe ich versucht zu ermitteln, wer da alles in der großen Runde sitzt: Bäcker, Polizisten, Förster, Journalisten, eine Zahnärztin, Soldaten, ein Forstwirt, mehrere Rentner, ein Postbote, … Diese Vielfalt macht die Qualität dieser Runde aus. Ja, es dreht sich fast immer um die Jagd, aber eben nicht nur. Und generell sind unterschiedlichste Herangehens- und Sichtweisen sowie die Vielfalt der Erfahrungen hilfreich. 

Schlussendlich habe ich mich in der Stammtisch-Runde erkundigt, ob man den unbedingt einen Jagdschein vorweisen muss, um daran teilzunehmen. „Keinesfalls“, so die einhellige Antwort. Jagdaffinität unbedingt, aber einen Jagdschein, das muss nicht sein. Warum ich nachgefragt habe? Richtig, es fehlen ein paar Landwirte in der Runde! Ich werde versuchen, mehr von ihnen auch an diesen Tisch zu bekommen ...